Reisebericht Sri Lanka – Colombo Tempelbesuch
Wunsch am Banyan-Baum
Der Mond strahlt voll vom nachtblauen Himmel. Er taucht die hohen Tempelwände in weißes Licht. Vom gepflasterten Innenhof scheint mir ein Lichtermeer aus brennenden Kerzen entgegen. Jeder Gläubige ist in weiß gekleidet. Es ist Vollmondtag. Das heißt Tempelzeit für die Buddhisten von Sri Lanka.
Mein letzter Tag auf der Insel ist angebrochen. Zahllose Erinnerungen an eine erlebnisreiche Reise durch Sri Lanka sammeln sich unsortiert in meinem Gedächtnis. Ich suche einen würdevollen Abschied im Tempel in Colombo. Dort angekommen setze ich mich auf kühle Steintreppen. Ich beobachte einfach. Familien nähern sich dem Kerzenmeer. Sie erblicken leere Tonschälchen, die nicht wie die übrigen mit einer Flame erfüllt sind. Kinder pflücken den alten Docht aus dem Tongefäß. Flüssigkeit wird in das Behältnis gegossen, ein frischer Wachsstrang hineingelegt. Ein neues Licht gesellt sich in die Kerzenflut.
Eine Melodie aus monotonen Gesängen umgibt mich. Direkt vor meiner Treppe prangt ein enormer Banyan-Baum. Der Mittelpunkt des Tempels. Murmelnd umrunden vier junge Frauen den Baum. Ihre Aufmerksamkeit gilt nur dem Riesen. Versunken im Gebet. In ihren zarten Händen tragen sie bunte Wasserkrüge. Ich beobachte, dass sie bei jeder Umrundung an mehreren Stellen Wasser auf die Wurzeln gießen. Gläubige geben dem lebenden Heiligtum Nahrung und Abkühlung von der schwülen Hitze. Ein schönes Bild.
Ich werde auf einmal aus meinen Gedanken geholt. Eine Frau mit langem, silber-weißen Zopf tippt mich von der Seite an. Schiefe, weiße Zähne strahlen mir entgegen. Passend zu ihrem perlweißen, langen Rock. Mit lachenden Augen beginnt sie, auf mich einzureden. In einer Sprache, die ich nicht verstehe. Ich lache mit ihr. Unsicher, mit Freude über ihre Herzlichkeit. „Sie möchte, dass du einen Wunsch am Banyan-Baum machst“, erklärt mir ein amüsierter Jugendlicher auf Englisch. „Dann musst du zurück auf unsere Insel kommen. Und zwar, wenn der Wunsch in Erfüllung geht. Und dem Baum Wasser geben zum Dank für die Hilfe.“ An ihrer Hand folge ich der lachenden Frau. Wir bleiben direkt vor dem mächtigen Baumriesen stehen. Sie ergreift meine Handgelenke. Legt meine Hände auf die Rinde. Sie tut es mir gleich. Seite an Seite stehen wir vor dem Koloss. Blick auf die Rinde, völlig wortlos. Ich spüre die harte, raue Borke unter meinen Händen. Bilder von der Reise schießen durch meinen Kopf. Berührende Begegnungen. Saftig grüne Teelandschaften. Das Rattern des Zuges im Hochland. Weiße Strände. Das Lichtermeer. Ich schließe meine Augen. Was soll ich mir wünschen? Mein Wunsch ist, dieses herzlich-lächelnde Land bald wieder zu besuchen. Ich stelle mir vor, wie ich mich nach der Rückkehr in Weiß kleide. Wie ich in denselben Tempel gehe, einen Docht anzünde. Mir einen bunten Wasserkrug besorge. Und lächelnd meine Runden drehe...
Anna Dütsch
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